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Was ist für Sie eine »gute Story«,
welche Themen beschäftigen Sie?
Eine Geschichte muss so sein, dass sie mich interessieren würde.
Ich bin überzeugt, dass ich keine gute Geschichte machen kann,
wenn sie mich nicht interessiert. Ansonsten ist eine Story dann
eine gute Story, wenn sie eine Bindekraft für mich als Autor
entfaltet. Bei mir ist das der Fall, wenn es eine Geschichte hinter
der Geschichte gibt. Wenn ich das Gefühl bekomme, da gibt es
eine offizielle Wahrheit, die komplett ganz bestimmte Bereiche ausspart,
ausblendet, verdrängt. So was hat etwas Skandalöses für
mich; das macht mich zornig; da will ich gerne was dran ändern.
Das Oktoberfest-Attentat 1980 in München beispielsweise ist
ein historisches Ereignis, das in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik
als die Tat eines wahnsinnigen Einzeltäters abgelegt wird.
Wenn man jedoch genauer hinschaut, merkt man sehr wohl, dass hier
eine rechtsextremistische Tat vorgelegen hat, die der mutmaßliche
Alleintäter, dieser 21-jährige Geologiestudent Gundolf
Köhler aus Donaueschingen, gewiss nicht allein vollbracht hat.
Am Anfang der offiziellen Ermittlung durch die Behörden stand
das auch noch im Vordergrund, wurde aber im weiteren Verlauf aus
politischen Gründen völlig unterdrückt. So was lässt
mich einfach nicht ruhen. Das interessiert mich, da fass ich nach,
so gut ich kann.
Ein anderes Beispiel ist der Obersalzberg. Für die historische
Sendereihe »Zeitzeichen« des Westdeutschen Rundfunks habe
ich diesen Berg besucht, wo Hitler 12 Jahre lang seinen »Heiligen
Bezirk« hatte. Tausende von Touristen krauchen dort jeden
Sommer herum. Niemand hat so recht Kenntnis, was damals eigentlich
vorging, und die bunten Broschüren zeichnen ein verharmlosendes
Bild von Hitler. Der Ort selber spricht nicht.
Einstieg in die Geschichte waren für mich Recherchen im Umland
in Berchtesgaden, bei denen ich auf Zeitzeugen stieß, alte
Menschen, die durch Umsiedlung den soliden Granitbauten Hitlers
weichen mussten, obwohl sie auf dem Obersalzberg geboren waren und
ihre Familien seit Generationen dort gelebt hatten. Das, was sie
da an Entwurzelung und Verlust ihrer Heimat erlebt haben, ist überhaupt
nie Thema gewesen für Millionen von Touristen, die nach dem
Krieg auf diesen Berg da rauf sind! Solche Ausgrabungen, die wecken,
wenn man so will, meine investigative Leidenschaft.
Themen dieser Art, die mich so entzünden, dass ich dran bleiben
will, berühren immer wieder die Zeitgeschichte Deutschlands
mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit. Dieses spezielle
Interesse hat sich bei mir früh, schon während meiner
Arbeit beim Jugendfunk, aber auch später bei der Kulturredaktion
herausgebildet.
Nutzen Sie, neben dem Hörfunk, noch
andere Medien für Ihre journalistische Arbeit, gerade bei so
»großen« Themen, wie Sie sie gerade geschildert
haben?
Ich halte tagesaktuellen Radio-Journalismus für notwendig
- ich mach ihn auch gern - aber ich bleibe auch immer wieder an
seinen Begrenzungen hängen. Immerzu 3 Minuten 30 Sekunden,
jeden Tag, eine andere »Sau« durchs »Mediendorf«
zu treiben, ist für mich in vielen Fällen nicht befriedigend.
Außerordentlich wichtig für mich und mein Selbstverständnis
als Journalist sind daher die Bücher, die ich geschrieben habe.
Eine Radiosendung bietet im günstigsten Falle 90 Minuten Sendezeit
und das auch nur bei komfortablen Sendeplätzen. Bei Themen,
wie den zuvor angesprochenen oder bei der Biographie eines Rudi
Dutschke, in die man sich hineingräbt, ist der Haufen des gesammelten
Materials, das man unerledigt, ungesendet auf die Seite tun muss,
riesig. Daraus entstand bei mir das Bedürfnis zu schreiben
und zeitgeschichtliche Themen, neben der Funkstrecke, in Buchform
zu bearbeiten. Quantitativ in bezug auf das monatliche oder jährliche
Einkommen bringen Bücher nicht viel ein. Allerdings ist es
außerordentlich wichtig dafür, wie man sich als Journalist
Leib, Herz und Seele beieinander halten kann.
Außer Hörfunk und Sachbücher habe ich praktisch
keine anderen Medien ausgelotet. Ich hab gelegentlich für Zeitungen
geschrieben, aber das ist verschwindend wenig. Ich habe ganz wenige
Ausflüge zum Fernsehen unternommen und bin mit diesem Medium
nicht recht warm geworden. Ich habe den Eindruck, dass die formale
und inhaltliche Freiheit als Hörfunkjournalist weit größer
ist als beim Fernsehen.
Weiter...
Ulrich Chaussy über des Medium Radio, das Zwischentöne
hörbar macht, Stimmen und Stimmungen mächtig werden und
Zeitzeugen wirklich sprechen lässt ...
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