 |
|
 |

Sie haben sich selbst als eine politische
und soziale Mehrzweckfigur bezeichnet.
Ist die jüngere Generation der Journalisten und Schriftsteller
Ihrer Meinung nach gleichgültiger geworden?
Zunächst etwas Positives über diese jüngere Generation
der schreibenden Bürger und Bürgerinnen der Republik.
Die jungen Journalisten und Schriftsteller sind besser ausgebildet,
sie haben meistens einen trainierteren Verstand, sie reflektieren
während sie schreiben sehr stark die vorangegangene Literatur.
Auf der anderen Seite haben sie eines nicht, was nach meiner Überzeugung
zu den Autoren meiner Generation und auch der früheren Generation
gehörte: eine soziale Geduld und eine wirkliche Liebe zu den
Menschen und Dingen, die man beschreibt. Ich habe das Gefühl,
dass die heutige Literatur sehr selbstsicher, aber auch sehr egozentrisch
und sehr genusssüchtig ist. Manches scheint mir, als wäre
es mit Eistasten auf dem Computer geschrieben.
"Präsident der Bundesvereinigung
der deutschen Schriftstellerverbände"
Aber das ist der Unterschied in den Generationen. Mit etwa
Ende dreißig habe ich versucht herauszufinden, was ich nicht
bin, und ich denke, es ist für jeden Menschen sehr wichtig
- wenn man aus einer Fülle von Hoffnungen und vielleicht auch
Fähigkeiten lebt - zu erkennen, wo die eigenen Grenzen liegen.
Als ich Autorinnen und Schriftstellerinnen meiner Generation, die
bedeutend begabter als ich waren, nah kennen lernte, fielen mir
meine sozialen Möglichkeiten ein. 1962, als mein erster Roman,
mein zweites Buch in München herauskam, trat ich dem Schriftstellerverband
bei, damals noch Schutzverband deutscher Autoren in Bayern. Es war
sehr merkwürdig. Ich war noch nicht lange drinnen, da ging
die Bundesvereinigung deutscher Schriftsteller den Bach runter.
Sie war wie der Bundesverband der Industrie organisiert, aber es
war eine einzige Machtlosigkeit.
Damals wollte niemand Sprecher oder Vorsitzender dieser Organisation
werden. Da guckten die mir in die Augen und sagten: "Vielleicht
können Sie´s." Mich traf das in einem Moment, wo
ich mich genügend kannte und den Wunsch hatte, mich in der
eigenen Berufsgruppe sozial zu engagieren.
Dann wurde ich zunächst, es klang bombastisch, Präsident
der Bundesvereinigung der deutschen Schriftstellerverbände.
Ich besichtigte über ein Jahr lang die Ohnmacht, der ich präsidierte,
und beschloss dann mit Freundinnen und Freunden wie Ingeborg Drewitz,
Taddhäus Troll, Reinhard Baumgart, Martin Gregor-Dellin, später
auch mit Günter Grass, Martin Walser und Heinrich Böll
zu sagen: Diese Ohnmacht muss zerstört werden. Unser Stichwort
war "Ein Schriftstellerverband ist stärker als dreizehn."
Damals gab es elf Bundesländer, einen Übersetzer- und
einen Dramatikerfachverband. Daraus entstand dann die "Einigkeit
der Einzelgänger". Es war bei mir einfach, und das lag
in der Familie, eine Doppelherausforderung:
Ich konnte schreiben; als Schriftsteller war ich, denke ich, ein
Brotautor. Ich konnte meine Familie zu einem guten Teil davon ernähren,
aber ich gehörte nicht zu den Autoren, die in die Weltliteratur-Geschichte
eingehen oder auch nur in die deutsche Literaturgeschichte. Auf
der anderen Seite hatte ich nicht wenige Vorfahren, die Berufspolitiker
waren, Reichstagsabgeordnete, Bürgermeister, Senatoren, und
von daher gab es so eine Sozialpflicht in mir. Die Aufgabe, mehr
zu tun, als nur sich um sich selbst und das eigene Werk zu kümmern.
"Ich wollte nicht unnütz
sein"
Ich denke, ich habe mein Leben lang eine gewisse Qualität der
Brauchbarkeit gehabt, und das wollte ich auch. Ich wollte einfach
nicht unnütz sein und nur ich selber, das war mir nicht genug
und von daher, war es gar nicht pathetisch, sondern eine Leidenschaft.
Ich habe die Doppelleidenschaft dieses Gestaltens mit Worten in
der Literatur und Publizistik, und die Gestaltung in der gesetzgebenden
Versammlung. Einer von uns musste da rein, und so bin ich Bundestagsabgeordneter
geworden, nachdem ich im SPD-Ortsverein Alte Heide hier ganz um
die Ecke im Münchner Norden meine Ochsentour gemacht hatte.
weiter
|
 |
 |
|
|
|

»soziale Geduld«
Dieter Lattmann über den Unterschied
in den Generationen und sein Engagement im Schriftstellerverband |
|
|
 |
 |