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 Grenzgänger - ein Schriftsteller in der Politik
Im Gespräch mit
Dieter Lattmann
"Literatur wird nie
aufhören, in der Kritik des Vorhandenen
die Vision einer idealen Gesellschaft
zu beschreiben", sagt Dieter Lattmann,
für den schriftstellerische und politische
Arbeit unmittelbar zusammen gehören.
(aus: Stationen einer literarischen Republik,
von Dieter Lattmann,in: Literatur der
Bundesrepublik Deutschland. Kindlers Literaturgeschichte
der Gegenwart, Bd.1, Mü, 1973)
Dieter Lattmann bezeichnete sich einst
als eine "politisch-literarische Mehrzweckfigur".
Von der Gründung 1969 bis 1974 war er
Präsident des Verbandes deutscher Schriftsteller
(VS). Als Bundestagsabgeordneter machte
sich der Sozialdemokrat auf bundespolitischer
Ebene für die Belange von Schriftstellern
stark. Er trieb die Novellierung des Urheberrechtsgesetzes,
die Änderung des Tarifrechts für arbeitnehmerähnliche
freie Mitarbeiter voran und hob die Künstlersozialversicherung
aus der Taufe: Es war das letzte Gesetz,
das von der sozial-liberalen Koalition
unter Helmut Schmidt 1982 im Bundestag
verabschiedet wurde.
"Jedes Leben besteht mindestens aus drei
Biographien: Einmal aus der ganz subjektiven,
wo man sich verwirklichen will, zum Zweiten
dem Beruf, wo man an ganz bestimmte Bedingungen
eines Marktes eingebunden ist, selbst
wenn der Markt die Kunst ist, und drittens,
das politische Leben, in dem man meist
gelebt wird, wenn man sich nicht wehrt."
Dieter Lattmann wurde 1926 in Potsdam geboren und lebt seit 1960
als freier Schriftsteller in München. Im Moment arbeitet er an seinem
neuen Buch mit dem Arbeitstitel "Herbstzeitlose". Birgit Pfeiffer
befragte den Schriftsteller in München.
Wann haben Sie den Wunsch oder die
Berufung verspürt, Schriftsteller zu werden?
Berufung ist für mich ein zu großes
Wort. Seitdem ich mich als eigenständiges Wesen entwickelte,
habe ich immer geschrieben. Mit dreizehn Jahren fing ich an und
habe nie wieder aufgehört. Jetzt bin ich 76.
Es ist ein großer Wunsch, meine Welterfahrung schreibend auszudrücken
- mit der damals auch in der Pubertät schon heimlich vorhandenen
Hoffnung, es würde einmal weiterzugeben sein und es würden
sich auch andere Leute finden, die das lesen würden, und das
hat sich ja teilweise erfüllt.
Welche Herausforderungen bietet der Journalismus
und die schriftstellerische Tätigkeit in der gegenwärtigen
gesellschaftlichen Situation?
Die intensivste Herausforderung scheint mir zu sein, dass in einer
polyglotten Welt der sprachlichen Verworrenheit, wo lauter Wörter
um die Ecke laufen, die ihre Bedeutungen verloren haben, verantwortungsvolle
Wortarbeiter, Publizisten, Journalisten, Wortautoren jeder Art die
Aufgabe haben, die Sprache genau zu nehmen und die nachdenklichen
Menschen daran zu erinnern, was die Worte eigentlich bedeuten. Denn
wir leben in einer wahren Euphorie des polyglotten Gestammels und
der Begrifflosigkeit.
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